Wann ist ein Bild ein Mann? Wann ist ein Mann ein Bild?
Nackte Männer sind so eine Sache. In der Fotografie bekommt man dazu schnell ein Bewertungsproblem. Man kann die Fotografie eines nackten oder leicht bekleideten Mannes zwar von einem technischen Standpunkt aus bewerten. Da kann man dann analysieren, ob die Lichtsetzung gut oder schlecht ist. Ob dann die meistens vorhandenen Muskeln adäquat in Szene gesetzt sind und wie der Schritt angemessen im Schatten verschwindet. Man kann sich ansehen, ob die Muskeln in einer für Aktfotografie angemessenen Weise an der richtigen Stelle (Abdomen) angespannt und an der anderen richtigen nicht angespannt (Pectoralis Maior) sind. Das ist wichtig, weil eine angespannte Bauchmuskulatur das landläufig als attraktiv empfundene Sixpack hervorbringt, während eine angespannte Brust nicht so gut aussieht, weil sie die Form des nach oben und außen abgerundeten Vierecks zerstört. Dasselbe gilt auch für die Gesäßmuskulatur, angespannt sieht diese nicht mehr nach dieser schönen Pfirsichform aus.
Aber sobald man diese Formalien überprüft hat, wird es recht schnell düster um den männlichen Akt. Zum Teil wegen des leider sehr oft verwendeten Low-Key Lichts, das alles in eine schummrige und kitschige Stimmung wirft, hauptsächlich aber, weil diese Form der Fotografie nun mal inhaltlich recht dürftig ist. Im Grunde herrscht hier gähnende Leere und das Einzige, was der männliche Akt in der Fotografie hervorbringt, ist eine Thirst Trap für sechzehnjährige Mädchen, die auf Grund ihrer ausgiebigen Instagram Recherche dann denken, dass Männer im realen Leben so aussehen, oder für homosexuelle Männer jeglichen Alters, die zwar wissen, dass das Gros der Gesellschaft nicht so aussieht, die sich dann aber recht bald dafür entscheiden, dass ein maskulines Äußeres irgendwie doch wichtiger ist als alles andere. Zumal so ein trainierter Körper auf dem Pärchen-Instagram-Kanal total vermarktbar ist.
Der männliche Akt ist immer auch ein homoerotischer Blick auf den männlichen Körper. Zu Berühmtheit gelangt sind hauptsächlich homosexuelle Fotografen, die leicht bekleidete bis nackte Männer fotografiert haben, beginnend bei Baron Wilhelm von Gloeden und seinem Cousin Guglielmo Plüschow. Zur Jahrhundertwende stand der männliche Körper in der Fotografie immer im Zeichen von Homoerotik. Das setzte sich in den 40er-Jahren fort, als Bob Mizer anfing seine Modelle zu fotografieren, später dann in der künstlerischen Fotografie mit Robert Mapplethorpe und auch in der kommerziellen Fotografie etwa bei Herb Ritts. Die frühen Fotografien von Gloeden und Plüschow wurden an homosexuelle Männer verkauft. Inszeniert wurde in antiker Kulisse – ein pseudo-romantisch verklärter Rückgriff auf eine vermeintliche Klassik. Inhaltlich aufgrund der doch sehr jungen Männer fragwürdig, erfüllten die Bilder ihre Funktion im Hinblick auf die Ansprache homoerotischen Begehrens. Bob Mizer hat später dann durch seine Fotografien den homosexuellen Mann und das damit verbundene Begehren zum ersten Mal als klassisch maskulin dargestellt und damit das Bild des männlichen Körpers nachhaltig verändert. Und Mapplethorpe hat einfach jede Regel gebrochen, die man zu kennen glaubte, und damit auch noch die letzte Bastion der Sittlichkeit eingerissen auf seiner Suche nach dem perfekten schwarzen Schwanz.
Und heute? In den letzten Jahren gab es einige Versuche – hauptsächlich im Rahmen der New Queer Photography – den männlichen Körper wieder weniger brutal und maskulin oder sogar heroisch darzustellen. Das Image verändert sich also wieder in eine Darstellung, die eher Wilhelm von Gloeden entspricht (wenn auch mit Modellen im legalen Alter und ohne antikes Setting) als Mapplethorpe. Was nicht heißt, dass der Körper, wie er bei Mizer und Mapplethorpe zu finden ist, heute aus der Fotografie verschwunden ist.
Was heute etwa auf Instagram oder in Männermagazinen gezeigt wird, ist im Grunde ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in denen der männliche Akt aus Mangel an Alternativen irgendwo in der Natur fotografiert wurde oder in denen der männliche Akt im Kontext von schwulen Magazinen wie Physique Pictorial hypermaskuline Zeichen aus der heterosexuellen Ästhetik entlehnen musste, um den Mann auch wirklich als maskulin erscheinen zu lassen. Und weil Sport für Vitalität steht und seit den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein zuverlässiger Trend ist, und weil Männer, die einfach so ihre Muskeln grundlos anspannen, tendenziell affig aussehen, haben sich unter anderen weniger prominenten drei Motive des aktiven Mannes etabliert: Der Mann in der Natur, der Mann beim Sport und der Mann bei der Arbeit.
Fotografie als Form der Kommunikation funktioniert so gut, weil sie viel schneller zu erfassen ist als schriftsprachliche Kommunikation. Gleichzeitig ist sie aber viel weniger spezifisch und somit ungenau in der Aussage. Deshalb braucht es redundante Zeichen, um die Kommunikation eindeutig zu machen, in Bezug auf den Männerakt also „Das ist maskulin“-Zeichen. Für diese Form der Fotografie braucht man im Grunde nur einen neutralen Hintergrund, einen trainierten Körper und ein paar Accessoires. Schubkarren, Autoreifen, Hanteln oder Ähnliches.
Betrachtet man einzelne Accessoires und Posen und die Körper der fotografierten Männer in klassischer Aktfotografie, kommt man schnell zum Schluss, dass fast immer eine gewisse Form von Hypermaskulinität reproduziert wird. Heute findet sich Unterwäsche aus den 50er- und 60er-Jahren, die zu Beginn der 00er-Jahre Inbegriff des Uncoolen und des sozialen Abstiegs war. Zeichen aus dem Sport werden häufig eingebaut – auch hier oft retro und bis vor wenigen Jahren nicht cool. Weiterhin findet man Äxte und andere Zeichen, die auf körperliche Arbeit verweisen. Jetzt kann man argumentieren, dass man dem Mann nun eben etwas zu tun geben will, aber da würde kochen ja im Grunde auch funktionieren. Ebenso kann man hinterfragen, warum all diese Männer, die da permanent fotografiert werden, quasi nackt Sport machen oder andere körperliche Arbeit verrichten, für die sich Kleidung im Grunde schickt. Die Lösung auf die Frage liegt hier sicher in kommunikativer und semiotischer Redundanz, einhergehend mit einer sehr geringen Informationsdichte. Männerakt sagt ja meistens nicht besonders viel. Das Offensichtliche wird so lange zelebriert, bis auch der Letzte verstanden hat, dass der abgebildete Mann als ultimativ maskulin dargestellt werden soll.
Und so vermischt man am Ende immer mehr verschiedene Zeichen aus verschiedenen Systemen zu einem als „maskulin“ interpretierten semiotischen Mastercode. Dies betrifft die konzeptuelle Fotografie zwischen 1940 und 1990, sowie die kommerzielle Fotografie zwischen ca. 1980 und heute. Die konzeptuelle Fotografie, die sich heute mit dem männlichen Körper beschäftigt, wendet sich einem weniger starren Bild des männlichen Körpers zu. Aber das, was heute in vielen Männermagazinen wie ManAboutTown oder Desnudo gedruckt wird, bedient hauptsächlich die Sehnsucht nach dem perfekten Körper, dem Partner mit dem perfekten Körper und dergleichen. Und durch die in Magazinen oder im Netz publizierte Masse an Fotografie wird das visuelle Normativ stark beeinflusst. Das heißt, dass am Ende die gezeigten Körper und das damit verbundene Bild des Mannes zur vermeintlichen Realität werden.
Wenn die verwendeten Symbole und Zeichen im Männerakt nur dazu dienen dem fotografierten Subjekt das Prädikat „maskulin“ zu geben – also im Grunde die Redundanz zu erhöhen und die Informationsdichte zu verringern – welchen Nutzen hat dann der fotografierte Körper? Worum geht es tatsächlich? Man könnte vielleicht argumentieren, dass das Fotografieren und Publizieren eine Form der Beweisführung ist. Man kommuniziert die Maskulinität in einer Welt, in der diese nicht mehr so einwandfrei identifizierbar ist. Skandale wie „Me Too“ haben Männlichkeit unter dem Begriff „Toxic Masculinity“ auf den Prüfstand gestellt. Man bekommt den Eindruck, dass eine ganze Reihe von Männern auf Instagram, Tiktok und anderen Plattformen nun glauben, unter Beweis stellen zu müssen, dass Männlichkeit im 21. Jahrhundert eben nicht zwangsläufig „toxisch“ sein muss und dass man auch „heiß“ und muskulös sein kann, ohne gleich Frauen bei der Arbeit regelmäßig zu begrapschen.
Aber trotzdem wird damit ja ein Bild zementiert, im Grunde das gleiche Bild, das schon Bob Mizer vertreten hat. Mit dem Unterschied, dass es zu jener Zeit ein Neues war. Heute ist das Bild eines muskulösen Mannes, der Holz hackt oder exzessiv im Fitnessstudio trainiert und danach Sex mit einem anderen Mann hat, für eine Generation X,Y oder Z nicht besonders außergewöhnlich. Weil es dabei aber das Narrativ des „echten“ Mannes als körperlich stark, trainiert und selbstbewusst weitertreibt, muss man dem männlichen Akt leider einen in Bezug auf die kommunikative Absicht betrachteten Totalausfall attestieren, weil eben lediglich ein traditionelles Narrativ perpetuiert wird.
Was bleibt also, wenn man den dürftigen informativen Mehrwert weglässt, der kommunikativ eh in die falsche Richtung läuft? Im Grunde wohl nur eine Masturbationsvorlage im Gewand einer Social Media Kommunikation. Die absurde Zeichenwelt wird dabei um so offensichtlicher, sobald Dinge ausgetauscht werden, angefangen bei der Körperlichkeit der dargestellten Männer und endend bei Dingen wie dem Hintergrund. Es handelt sich um einen Zeichenkomplex, der nur in Abhängigkeit voneinander funktioniert. Die Absurdität der dargestellten Verbindungen von Zeichen und Informationen ist stark, aber trotzdem wird diese Motivik als vermeintliche Realität gespeichert. Männer sehen im realen Leben nun einmal in der Regel nicht so aus. Aber der Anspruch darauf bleibt, weil man sie jeden Tag sieht, in der Werbung, auf Plakaten, in den sozialen Medien, schon in der Früh nach dem Aufstehen, abends auf dem Sofa liegend und Dating Apps durchstöbernd, in Ausstellungen und in Filmen. So oft bis das mediale Bild zur Erwartung und die Fantasie zur Enttäuschung wird.